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BYND

Konstantin Arnold

AGUARDENTE

AGUARDENTE

Ich sitze unter den Wolken neben der Stierkampfarena. Über mir dickes portugiesisches Ahorn und eine ausgerollte Markise. Der Bürgersteig liegt mir zu Füßen und all die zwischen den Pflastern verlorenen Zigarettenstummel auch. Der Flieder blüht wie verrückt, die Straßen sind leer. Vor mir tropft ein Käsetoast vor lauter Butter von einem Metalltisch und neben mir wird schon Wein getrunken, obwohl ich noch mit Mundgeruch am Kaffee hänge. Für einen Vormittag im Juni ist es zu dunkel. Die Luft riecht von weit hergekommen, dick und aufgeladen, man muss sie kauen, bevor man sie atmen kann. Ein bisschen als wäre die Welt vor dem Untergehen, weil sie jemand gestern nicht weiter gedreht hätte. Independence Day. Stimmung, die sich ausbreitet, wie ein großer, starker Sumoringer, der sichs nach dem Kämpfen in einer Zentrifuge gemütlich macht. Es blitzt, ohne zu donnern und die Kellner stellen die Stühle rein. Wie in der Bibel oder was man nach 2000 Jahren Christentum eben so denkt, wenn der Wind peitscht, die Blätter fliegen und die Wolkendecke aussieht wie die schlechte Laune des Herrn. Eine Art gemütliche Offenbarung mit Happy End oder bis Portugal ein Tor schießt. Auf den Straßen nichts als die Ungläubigen und ich, Aussätzige und Busfahrer, alle die Christiano Ronaldo scheiße finden und deswegen in der Hölle schmoren. Der Rest des Landes vor dem Fernseher, eine gespannte Nation. Wenn sich die Portugiesen mit Querpässen den Ball zu schieben, ist es so still, dass man sich atmen und kauen, seinen eigenen Stift schreiben, sich selbst Leben hören kann. Nichts ist so selbstverständlich wie das Funktionieren eines Herzens, bis man es während eines Fußballspiels schlagen hört. Unaufhaltsam in die Zukunft pumpend, ohne Stecker, ohne Lob,  ohne jemals ein oder ausgewechselt worden zu sein, ohne Garantie, irgendwo hin, die muskelbepackte Basis unsers Tuns. Ob man froh, müde, kalt oder traurig ist. Man kriegt die Krise, weil jeder Schlag ein Grund zum Feiern ist und man hofft, dass sich die Portugiesen weiterhin mit Querpässen im Ruhepuls der eigenen Hälfte den Ball zu schieben; oder ohne großes Tamtam endlich eine Bude schießen, damit diese aufgeladene Ruhe, die bisher ohne Sturm auskommen konnte, aufhört an alle leisen Dinge des Lebens zu erinnern, die man liebend gerne überhören möchte. Jene trügerische Stille, die alles was kommen wird, laut werden lässt. Und staubtrocken, bevor alles in dieser kurz vor dem Wolkenbruch gefangenen Spannung erlöst wird. Es ist gottverdammt heiß hier. Hitze so erdrückend, wie eine aus Harmonie geflochtene Steppdecke, die immer schwerer zu werden scheint, je mehr man unter ihr verdecken möchte. Meine beiden deutschen Achseln sind zu den Quellen eines bis zu meinen Füßen rinnenden Baches geworden. Mein Gesicht zu keiner küssenden Begrüßung bereit, übersäht mit nicht zu zivilisierender Menschlichkeit. Wie es dieses Land in seinen weißen […]