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BYND

Konstantin Arnold

HALLODRI

HALLODRI

Damals als alles besser war, Rauchen noch als gesund galt, hinter dem Horizont das Ende der Welt lag und man Gedanken vom Hirn über die Hand durch den Kugelschreiber direkt auf das Papier brachte, ohne sie dann wieder löschen zu können. Damals als Cais do Sodrè ein Ort der Begegnung zwischen Nah und Fern war, an den man die Ladung der Handelsschiffe bewundern konnte und die Frauen an Land in den Kneipen der Docks auf abenteuerliche Seemänner warteten, um sich noch näher und ihrem Alltag noch ferner zu sein. Damals als man sich noch von einer guten Geschichte ficken ließ und dann sicherlich auch von damals redetet und rauchte, weil es gesund war, war eigentlich alles wie heute nur eben von gestern. Der Buchdruck von gestern, die Smartphones von heute. Der Mars von morgen so weit weg wie das Amerika von gestern (oder heute) und die wenigen in Frage kommenden Frauen im abgelegenen Heimatdorf, die weder Mutter noch Cousine waren, mit Tourismus und Internet ins unermessliche getrieben. Da haben wir’s! Nicht alles war besser. Damals rationale Zweckgemeinschaft mit Fortpflanzungsdoktrin, ohne Zufälle in denen man zur gleichen Kohlrabi greifen könnte, ohne Schicksal und ohne Kondome. Heute alles voller Romantik und Einwegbeziehungen, die sich durch gelbes Laternenlicht träumen und an der nächsten Ecke miteinander Schluss machen, weil man in Sachen Urlaubsplanung einfach zu unterschiedliche Vorstellungen hatte. Der eine wollte Mittag inklusive, die andere in den Straßen selbst nach guten Restaurants suchen. Wie soll man da nur zusammenfinden. Vor allem wenn an jeder Ecke alles noch Schönere, noch Neuere noch Spannendere lauert. Förmlich vibriert, weil hier die Erde öfters bis 4,9 Mw (Momenten-Magnitude) bebt. Das heißt laut Definition sichtbares Bewegen von Zimmergegenständen und Erschütterungsgeräusche ohne Schäden. Übersetzt und praktisch bedeuten 4,9 Mw, dass du dich erst einmal fragst, ob du spinnst, weil es bis 5 Mw auch noch der Alkohol sein könnte. Aber keine Panik! Lissabon ist ein Parnass, Sitz der Musen, eine Libertin in der Brandung, gebaut ohne selbstauferlegte Disziplin, der man ohnehin nicht gewachsen wäre. Eine Naturgewalt und so etwas passiert hier ständig. Deshalb ist es nie zu spät für die wahre Liebe und ein portugiesisches Mädchen, weil portugiesische Mädchen immer noch viel später sind. Vor allem wenn du einen Tisch für 10 Uhr im Zé da Mouraria hast und du dich nach einer Dreiviertelstunde um eine Mahlzeit deines Lebens beraubt fühlst. Warten wäre so schön, wenn man nur auf hungrigen Magen rauchen könnte oder wir uns nicht zwischen Erasmusbar und Irish Pub in Cais do Sodrè, sondern zwischen Pinien und Ausblick im Jardim de Torel treffen würden. Denn von dort hätte man einen anderen Blick auf die Stadt. Einen ehrlichen, ganz ohne kirchliche Highlights und restaurierte Prunkbauten. Dort gibt es wilde Hühner und Enten und Obdachlose, die kämpfende Enten wie Ringrichter auseinanderhalten und dich nach dem Spektakel nach Geld fragen. Dort […]