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BYND

Konstantin Arnold

MAMMON

MAMMON

Ich kann meine eigenen Notizen nicht lesen. Nicht ein Wort. Nicht einmal entziffern. Alles voller Superlative und Asche. Fettflecken und Wörtern mit mehr als einer Bedeutung, die trotz gleicher Buchstaben hier eine andere Aussprache fordern. Angefertigt gestern Nacht in einem dunklen Restaurant in der Rua de O Século zwischen Schweinelende und Unterhaltungen mit Matilda. Ein besonderer Ort! Dunkel, charmant, in manchen Ecken noch viel dunkler, Bescheidenheit vom Zapfhahn bis zur Handseife, weil sein Besitzer nicht ahnt, wie charmant er wirklich ist. Manche Tische haben eine grüne Bankierlampe, die Stühle braune Sitzbezüge aus wildem Leder. Viele Tische haben Tischdecken, die in anderen Restaurants Teppiche wären und auf jedem einzelnen von ihnen steht ein großer schwarzer Aschenbecher. Man raucht hier zwischen Vorspeise und Hauptgang, in Gesprächspausen und kurz vor dem Ausholen, nach dem Essen sowieso und eigentlich sogar noch eine mehr zwischen jeder einzelnen Zigarette. Es gibt keinen Empfang und aus einem versteckten Lautsprecher singt eine leise Tina Turner, dass wir keine Helden mehr brauchen und du einfach der Beste bist. Wenn jemand dazwischen die Klingel gehört hat, sich die schwere Eingangstür öffnet und du die Türschwelle betreten darfst, begrüßt dich ein saftig-satt gegessener Opa wie seinen eigenen Enkel und begleitet dich und deine Begleitung an einen Tisch seiner Wahl. Einen, von dem er denkt, dass er zu dir passt. Zum Grund deines Kommens, zum Anlass dieses Diners, zum Verhältnis zu Matilda und dem alles verschlingenden Loch in deinem Bauch. Wohlüberlegt entscheidet er im Verlauf des Abends, welche Beziehungsprobleme er neben welches erste Date setzt. Welche Gewohnheit neben welche Wertschätzung. Welche Weltanschauung neben welchen Tunnelblick. Welche Gruppen guter Freunde neben einsame Nachtschwärmer kommen und wer von den wenigen hier anwesenden Touristen eine Lektion in kurzen Hosen verdient hat. Im Sommer wie im Winter. Alles aus Weisheit, Erfahrung und Langeweile, die aus über 40 Jahren Schweinelende-Servieren schöpfen können. Die Freude eines kleinen Mannes, der somit dem Laufe des Schicksals seine ganz eigene Prägung aufsetzen kann. Die alleinige Regie führt in einem Reich, dass er schon Jahrzehnte bestimmt und bewirtet, besser kennt als die eingestaubten Bedürfnisse seiner Ehefrau, zu der er nur spricht, wenn es etwas aus der Küche zu bestellen gilt. Es ist ein Ort, der sich durch die Traditionen zieht, durch Trends gekämpft hat und nun davon lebt, dass Enkel, Söhne und Väter hier alle das gleiche bestellen. Schweinelende mit Soße, Pommes und einem Ei für 16.25€. Im Verhältnis könntest du zwei Häuser weiter eine Karaffe Hauswein, Oliven, Steak und Reis, mit einem Kaffee zum Abschluss, für die […]