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BYND

Konstantin Arnold

DEMENTI

DEMENTI

Regen, endlich ein Grund irgendwo Urlaub zu machen. Ein Grund die Stadt zu verlassen. Ihr zu zeigen, dass es noch ohne sie geht, andere gibt, andere Städte, in denen noch andere Mütter wohnen, die auch schöne Töchter haben. Sevilla oder Cádiz oder noch weiter südlich. In einem fernen Land, in dem es nicht durch die Decke regnet. Ganz Europa versinkt im Schnee, von Berlin bis nach Mallorca. Schnee, der hier nur noch geschmolzen ankommt und dich nass macht. Nass wie Hund. Die Wohnung nass, alles nass, sogar das Internet nass, weil in Lissabon die Welt in langen Kabeln von Haus zu Haus hängt. Wenn Lissabon nass ist, ist es hässlich. Praça do Comércio hässlich, die Brücke hässlich, sogar die schöne Kopiererin aus dem Kopierladen hässlich. Man verkriecht sich nach innen, in dickes Gemäuer, die eigenen vier Wände, den dicksten Rollkragenpullover, soweit wies nur geht, bis einem schlecht wird, weil man innen angekommen ist und plötzlich über Dinge nachdenkt, über die man nicht nachdenkt, wenn einem die Sonne permanent ins Gesicht scheint. Verlorene Liebe, vergessene Freunde, neue Ziele. Klingt wie ein Lied von den Onkelz! Egal, Lissabon hat sich etwas zu sicher gefühlt, sich das Make-Up wegschiffen lassen, abends nicht mehr in Schale geworfen, weil sowieso alle kommen, auch wenn es regnet. Die sonnigste Stadt Europas versinkt mit 2800 Sonnenstunden im Jahr, hinter Valletta (ist aber eine Insel) und Marseille (ist gelogen), im Regen, sonnt sich auf einer Statistik. Natürlich ist Regen nichts Neues. Nichts Neues für Statistiken, nichts Neues für mich -mir ist er so vertraut wie der Klang von Skateboards und der Geruch von Kuhscheiße, nur eben etwas zu Nass für den trockenen Traum vom Tajo. Statistisch gesehen, gibt es wichtigere Themen als das Wetter. 2007 gab es im Parque das Nações zum Beispiel die längste La-Ola-Welle der Welt im mit 8453 Menschen. Nur möchte ich mich hin und wieder meinen deutschen Gepflogenheiten hingeben dürfen. Dem Scheißwetter, den Statistiken, den Rufen meiner Vorfahren folgen, mit denen ich nichts zu besprechen hätte, wenn es nichts zu meckern gäbe. Wir müssen uns einfach beschweren, weil uns die schweren Dinge, die tief in unserem inneren auf […]